Kleine Geschichtsstunde


Die Nachkriegsära
Trist – ideenlos – langweilig – so betrachten wir rückblickend die Architektur der 60er und 70er Jahre. Die Gebäude aus dieser Zeit empfinden wir als graue, hässliche Betonburgen, ohne individuellen Stil oder Seele. Doch warum bedienten sich die Menschen in den Nachkriegsjahren dieser Bauweise? Die Gründe sind unter anderem der Wiederaufbau der deutschen Städte nach dem zweiten Weltkrieg und das deutsche Wirtschaftswunder, welches mit einem Bauboom einherging. Die Bauarbeiten mussten innerhalb kurzer Zeit und äußerst ökonomisch erfolgen. Für aufwendige Ornamentik an den Fassaden blieb einfach keine Zeit.

Die Form folgt der Funktion
Die Bauherren der Nachkriegszeit richteten nach den Prinzipien des architektonischen Funktionalismus, wonach Gebäude eine zweckgebundene Bauweise erhalten sollen. Die Funktion eines Hauses bestimmt wesentlich dessen Form. An der Dekoration wird ebenfalls gespart, denn sie galt als überflüssiges Element. Stattdessen bevorzugte der architektonische Funktionalismus, auch Funktionalarchitektur genannt, sachliche und schnörkellose Linien und Oberflächen.

Wie alles begann…
Die Ursprünge des Funktionalismus reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. 
Namhafte Wegbereiter wie Walter Gropius oder Mies van der Rohe läuteten damals eine neue Ära in der Architektur ein. Sie setzten auf schlichte, kubische Formen mit puristischen und nüchternen Außenfassaden. Als Baumaterialien benutzten sie Beton, Stahl, Glas und Ziegel. Die neuen Konzepte lehnten übertriebene Ornamente ab, dafür boten die neuen Wohnanlagen viel Freiraum für die Bewohner. Die modernen Architekten legten zwischen den Häusern großzügige Grünflächen an, die Platz für Ruhe und Erholung boten. Badezimmer und Toiletten wurden zum Standard in den Wohnungen und verbesserten die hygienischen Bedingungen der einfachen Bevölkerung.

Vertane Chancen
Grundsätzlich sind die architektonischen Konzepte von Walter Gropius und seinen Mitstreitern nicht verkehrt. Vom sozialen Standpunkt aus betrachtet waren die neuen Ideen für die damalige Zeit recht fortschrittlich. Bis in die 20er Jahre hinein war die Wohnsituation der Arbeiterschicht erbärmlich, häufig sogar katastrophal. Aus Profitgier bauten viele Hausbesitzer sogar die Hinterhöfe zu, wodurch sich hunderte Menschen auf engstem Raum konzentrierten. Nicht selten mussten mehrere Familien sich eine Toilette teilen.
Auch ästhetisch boten die neuen Konzepte völlig neue Formen an, die es in den Epochen zuvor nicht gab. Die Architekten der Moderne zeigten, wie vielfältig das Spiel mit kubischen Formen sein kann. Sowohl die Größen der kubischen Figuren als auch deren Anordnung zueinander erweisen sich als äußerst variabel. Die revolutionären Baumeister lehnten zwar die klassischen Ornamente ab, aber dafür kreierten sie eine neue Formensprache, die nicht minder ästhetisch sein kann.
Den Architekten und Bauherren der Nachkriegszeit hingegen ging es nur um standardisierte Zweckbauten, ohne optischen Wert. Die Ökonomisierung des Bauens war vollständig in den Vordergrund getreten. Die standardisierte Bauweise erzeugte gesichtslose Häuser und Fassaden.
Die Konzepte von Gropius und seinen Anhängern boten viele Möglichkeiten, die Architektur in neue Bahnen zu lenken. Doch diese Chance wurde vertan.

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